Verantwortliche Schwerelosigkeit
Wir haben den Autor Akın E. Şipal eingeladen, die digitalen Veranstaltungen von BUILDING CONVERSATION RHEIN-NECKAR zu begleiten. Im Nachgang zu jeder digitalen Conversation wird seine ganz persönliche Reflexion über die Teilnahme am Gespräch hier im Blog zu lesen sein.
In "Verantwortliche Schwerelosigkeit" geht es um das Unmögliche Gespräch über Verantwortung vom 25. Februar 2021.
Verantwortliche Schwerelosigkeit
Click. Ins Wartezimmer. Kacheln springen auf, Gesichter. Es wird sich zugenickt. Eine halbe Minute übe ich Zurückhaltung, dann ergehe ich mich in ersten Blickkaskaden: auf und abfahrende Augenpaare, katzbuckelnde Augenbrauen, das Abschirmen des Kinns mit einer Hand, winzige, kaum zu beschreibende Übersprungshandlungen. "Den richtigen Winkel für das eigene Gesicht finden", denke ich. Die Mikrofone gemutet, bis die Performance beginnt — eine der wenigen Spielregeln … So kommt man gar nicht erst in Verlegenheit oder Versuchung ein Gespräch zu beginnen; macht Sinn, denke ich. Am besten kommt man wohl aus einem Nicht-Gespräch ins Gespräch. Aber die Verantwortung für das eigene Gesicht hat man ja doch, man wird sie auch nicht los … Ich lehne mich zurück, "weniger sichtbar werden".
Das Wartezimmer als Vorraum zum Austausch von Argumenten oder das Gespräch selbst als Wartezimmer zur Erkenntnis; das Wartezimmer als unerschöpfliche Metapher für unauflösbare Widersprüche, der innere Monolog vor dem unmöglichen Gespräch als Kalenderspruchmaschine … Egal, wie gut unser Gespräch laufen wird, irgendwer wird es "unmöglich" finden, einige werden sich unmöglich verstehen, akustisch, wegen "des" Internets. Und wie immer wird es unmöglich sein, bestimmte Dinge in Worte zu fassen.
Dann geht es los und etwas Seltsames geschieht. Die Ahnung einer Synchronizität legt sich über die Kacheln: das Gefühl verantwortungsvoller, einvernehmlicher Zurückhaltung; nicht diese "Ich-traue-mich-nicht-etwas-zu-sagen-Stille", sondern eine "Ich-vertraue-den-Anderen-dass-sie-mich-nicht-bewerten-Stille". Echt angenehm! Als hätte uns das Sich-Ansehen, Schweigen und Warten zusammengeschweißt. Die Kritzelgeräusche der Stifte auf den Din-A4-Seiten, die wir bereitlegen sollten, haben etwas Beruhigendes, sinnlich Zufriedenstellendes. Wie wir über Verantwortung schreiben und uns die Texte vorlesen, hat etwas Verantwortungsvolles, Unironisches, bei gleichzeitiger Unvoreingenommenheit und gegenseitigem Wohlwollen und wenn wir uns unterhalten, scheint es, lassen wir füreinander Platz. Es ist, als würde alles was zwischen diesen Kacheln geschieht, die Atmosphäre nur verdichten. "Ich glaube, wir haben hier etwas Besonderes am Laufen", denke ich zwischendrin, dabei habe ich nichts von dem was ich sagen wollte gesagt, weil die Unterhaltung in der für sie vorgesehenen Struktur unvorhersehbar mäandert. Aber ein Teil von ihr zu sein, davon befreit, etwas Bestimmtes sagen zu müssen, genügt. Und wenn diese Beschreibungen Überschwänglichkeit vermitteln, dann habe ich mich missverständlich ausgedrückt. Ich weiß nicht wie ich das Thema Verantwortung in ein oder zwei Sätzen mit der Eigenschaft der Genügsamkeit verbinden könnte; ich denke, diese Begriffe sind verwandt. Es ist die Fülle an Genügsamkeit, woher auch immer sie gekommen sein mag, die diesem unmöglichen Gespräch einen Hauch von Magie verleiht, unmöglich angemessen zu beschreiben, aber am ehesten vergleichbar mit Zufallsbekanntschaften auf einem Platz in einer lauen Sommernacht.