Mit der S-Bahn zur Rodeo-Ranch

01.10.2016
Erstellt von Manon Lorenz

Mit dem partizipativen Tour- und Audioformat „Storylines“ hat sich die Regisseurin Lea Aderjan zum Ziel gesetzt, die tägliche Routine zu durchbrechen. In Kooperation mit der S-Bahn RheinNeckar soll Zugfahren zu etwas Besonderem gemacht werden. Seit gestern können die Reisenden das Neckartal durch die Augen seiner Bewohner auf drei verschiedenen Routen neu kennenlernen.


© Manon Lorenz

Das Versprechen „Die Bahn macht mobil“ wird bei „Storylines“ auf besondere Weise eingelöst. Indem der Zug nämlich nicht nur ein Mittel ist, um Menschen an bestimmte Orte zu befördern, sondern indem auch die Orte zu den Menschen in die Bahn geholt werden. Das Abspielen anekdotischer Lautsprecheransagen verwandelt die S1 zwischen Heidelberg und Mosbach in einen mobilen Geschichtenerzähler und gibt den Bewohnern des Neckartals eine Bühne. Pendler werden dadurch auf ihrer täglichen Fahrt zum Publikum.

Ob sie gefallen oder nicht, eines erreichen die Ansagen auf jeden Fall: Sie binden für einen kurzen Moment die Aufmerksamkeit der Reisenden. Überraschtes Aufhorchen, konzentriertes Zuhören, ein verschmitztes Lächeln oder zumindest ein Schmunzeln sind zu beobachten, wenn plötzlich ein Gedicht über die Burgen in Neckarsteinach, Fährgeräusche oder ein Rapsong aus den Lautsprechern ertönt.

Bei den rund zweieinhalbstündigen Touren, die die Durchsagen im Zug um Performances entlang der Strecke ergänzen, werden jeweils drei verschiedene Gemeinden angesteuert. Bis zu 40 Minuten dauert die Erkundung einer Station unter der Leitung eines ortskundigen Tourguides. Nicht immer bekommt man diesen auch zu Gesicht, manchmal hört man ihn nur. Die Zeit sitzt einem immer ein wenig im Nacken, schließlich muss die Gruppe rechtzeitig wieder am Bahngleis stehen, um die nächste S-Bahn zu erwischen. Das ist teilweise bedauerlich, verlangen manche zuvor unbekannte Sehenswürdigkeiten geradezu danach, eingehender erforscht zu werden.

Eine Station bei "Storylines": die Rodeo-Ranch in Obrigheim. © Andreas Neumann
Vor dem Ritt wird gebetet. © Andreas Neumann

So unvermittelt der Zuschauer Zutritt zu einer ganz persönlichen Lebensgeschichte oder einem Ort erhält, so plötzlich findet er sich in der eigenen Realität wieder. Die Türen zu den individuellen Lebenswelten öffnen sich nur für kurze Zeit. Das Publikum lernt die Protagonisten sehr privat kennen und bleibt doch stets Zaungast. Gerade hat man sich auf der Rodeo-Ranch in Obrigheim wie ein echter Cowboy gefühlt oder noch den Weihrauchgeruch eines miterlebten okkulten Rituals in Neckarhausen in der Nase, da steht man auch schon wieder am Bahnhof. Gerade dieses ambivalente Verhältnis von Intimität und Distanz macht den Reiz der Inszenierungen aus.

"Storylines" führt an ungewöhnliche Orte. © Andreas Neumann

Zwischen den einzelnen Stationen kommt ein bisschen das Gefühl einer Reisegruppe auf, die ihren Reiseführer unterwegs verloren hat. Vor und nach jeder Etappe ausgeteilte Handzettel bieten deshalb eine Orientierungshilfe. Erklärungen zur vorangegangenen Performance beantworten so manche übrig gebliebene Frage. Gleichzeitig geben die Zettel Hinweise zur nächsten Etappe. Rote Markierungen auf dem Boden dienen als Wegweiser und lotsen die Teilnehmer zur nächsten Station, sobald sie ausgestiegen sind. Es ist eine Art Schnitzeljagd für Erwachsene mit viel Lokalkolorit und mit dem Unterschied, dass am Ende der Suche keine Preise winken, sondern außergewöhnliche Persönlichkeiten und Plätze.
Sowohl die Touren als auch die Audioinstallationen machen sich den Überraschungseffekt zunutze. Denn je weniger das Publikum weiß, was es erwartet, umso aufmerksamer hört es den Zugansagen und den ortskundigen Reiseführern zu. Letztlich bleibt es jedem Fahrgast selbst überlassen, Augen und Ohren offen zu halten, um das zu entdecken, was sonst womöglich auf der Strecke bleibt. Doch es lohnt sich.


Storylines

Regie: Lea Aderjan
Regieassistenz: Jule Winkler

Bis 15.10.2016: Storylines Dauerinstallationen - alle Informationen finden Sie hier.
30.09. - 11.10.2016: Storylines Touren - die Termine können Sie hier nachlesen.
Storylines findet in Kooperation mit der S-Bahn RheinNeckar statt.


Manon Lorenz

Ich, 25, lebe in Heidelberg und studiere dort Geschichte im Master. Erste journalistische Gehversuche habe ich bei der Studentenzeitung ruprecht gemacht. Studienbegleitende Abstecher zum Kulturfernsehen, in die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie in die international ausgerichtete historische Forschung haben mir das breite Spektrum öffentlicher Kommunikation aufgezeigt. Was mir Interessantes über Kultur & Co. ins Auge sticht oder in die Finger kommt, teile ich unter @ManonLorenz auf Twitter.

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