Improvisation bei Blaulicht

30.09.2016
Erstellt von Miriam Bott

Der bewegte Krimi „Tatort Neckartal“ fordert sowohl die Schauspieler als auch die Zuschauer heraus. Denn in diesem mobilen Stück lässt sich nicht alles planen, wie ein Probenbesuch zeigt.

© David Ortmann

Die beiden Kommissare: Heinrich Prinz (Oliver Jaksch, links) und Manuel Engel (Florian Mania) © David Ortmann

Eine S-Bahn als Einsatzwagen, das Publikum als Zeugen – aber nicht eines Verbrechens, sondern der Ermittlungsarbeit zweier Kommissare. Der eine jung und impulsiv, aus Mannheim. Der andere in gesetztem Alter, mürrisch, aus Heidelberg. Zum Inhalt sei nur so viel verraten: Das Stück will Lokalgeschichte erzählen, in einer Mischung aus Live-Performance, Improvisationstheater und Video-Krimi.

Beim „Tatort Neckartal“ handelt es sich also nicht um ein normales Theaterstück. Hier sitzt das Publikum nicht stumm vor der Bühne auf seinen Stühlen, sondern es ist immer mittendrin im Geschehen. Es bewegt sich mit den beiden Kommissaren durch das Neckartal, mal zu Fuß, mal in der S-Bahn. Mal gemächlich langsam, mal im Laufschritt.

Eins wird beim Probenbesuch schnell klar: Ein bewegtes Stück birgt ganz andere Herausforderungen als eine Bühnenproduktion. „Die Zuschauer müssen Schritt halten“, sagt Regisseur David Ortmann. Und denkt dabei nicht nur an das Schritthalten mit der Gruppe, denn die Kommissare werden mit dem Publikum einige Meter zurücklegen. Ortmann meint auch das gedankliche Schritthalten: Wie ist der Ermittlungsstand? Wer kommt als Täter infrage?

Und das Schwerste für die Schauspieler? „Wir drehen einige Filmszenen“, sagt Ortmann. „Da müssen sie ständig umschalten, zwischen dem Schauspielen für eine Filmaufnahme und für eine Bühnenszene.“ 

Anders wird das bei den Aufführungen sein, wenn die Videos im Kasten sind: „Wir müssen den Fokus erhalten“, sagt Florian Mania, der den Mannheimer Kommissar namens Manuel Engel spielt. „Jeder Zuschauer soll ja alles mitbekommen.“

Schon die Fahrt in der S-Bahn kann knifflig werden: Das Publikum und die Schauspieler fahren in einer normalen Bahn mit anderen Fahrgästen mit. Letztere sind vielleicht gerade auf dem Heimweg von der Arbeit, geschafft und müde. Wie werden sie reagieren, wenn plötzlich im Zug Theater gespielt wird? Andreas Hillger, der Autor des Stücks, hat darauf eine klare Antwort: „Da schreibe ich den Schauspielern ins Skript immer rein: ,Hier müsst ihr improvisieren'.“

„Textbuch wird oft nicht weiterhelfen“

Oliver Jaksch (links) und Thorsten Danner (spielt Hans-Jürgen Müller-Burkhardt) bei einer Probe. © Miriam Bott

Alles minutiös planen, das geht auch auf der Theaterbühne nicht. Und bei einem bewegten Stück wie dem „Tatort Neckartal“ ist eine exakte Taktung nahezu unmöglich. Das Stück wird mehrmals aufgeführt, unter der Woche und am Wochenende. Manchmal werden mehr Fahrgäste mitfahren, manchmal weniger. Die S-Bahn kann sich verspäten. Manche Szenen spielen draußen, während vielleicht laute Autos vorbeifahren – auf all diese Bedingungen müssen die Schauspieler spontan reagieren. Sie müssen das Publikum zusammenhalten, es führen und gleichzeitig ihre Rollen spielen. Mania findet solche Situationen spannend: „Wir haben zwar ein Textbuch, aber das wird uns oft nicht weiterhelfen.“

Das merken bei der Probe auch Manias Kollegen Angelika Baumgartner und Oliver Jaksch: Es ist schon dunkel, nur ein paar Straßenlaternen spenden Licht. „Wir haben die Szene heute Mittag im Probenraum geprobt, aber jetzt vor Ort ist alles anders. Da zeigen sich die Herausforderungen“, sagt Jaksch, der Heinrich Prinz, den älteren der beiden Kommissare, spielt.

„Der Sicherheitsabstand zwischen den Zuschauern und den Schauspielern ist bei diesem Stück aufgehoben. Wir stehen ja mitten im Publikum“, sagt Baumgartner, und es klingt, als freue sie sich darauf. Ein mobiles Stück kann also auch für die Schauspieler eine große Bereicherung sein. Denn anders als im Theater bekommen sie hier Reaktionen auf ihre Arbeit viel unmittelbarer mit, können in die Gesichter ihrer Zuschauer blicken und hören vielleicht sogar, was diese miteinander reden.

© David Ortmann

Zurück zur Szene: Autos fahren vorbei, außerdem ein Motorrad. Ein-, zweimal fällt Baumgartner aus ihrer Rolle: „Ich muss mich total an die Situation gewöhnen, ich habe so was noch nie gemacht. Die fahrenden Autos, und ich sehe euch auch gar nicht!“, sagt sie zu ihren Kollegen. Ortmann hat gleich eine Idee: Ein mobiler Scheinwerfer soll das Problem lösen. Viele Fragen stellen sich erst bei einer Probe vor Ort: Können alle Zuschauer das Geschehen verfolgen? Wie kann man die Szene beleuchten, ohne die Authentizität der Umgebung zu stören? Was, wenn es regnet? Deshalb hat das gesamte Team zu Beginn der Proben erst mal alle Orte abgeklappert, an denen gespielt wird.

Offenbar hat Baumgartner aber trotzdem überzeugend gespielt, denn plötzlich steht eine aufgeregte Anwohnerin mitten in der Probenszene. Sie habe ein Verbrechen vermutet, sagt sie. Kurz darauf kommt die Polizei mit Blaulicht angerast, doch die Situation ist schnell geklärt, und die Beamten verlassen den „Tatort“ wieder.

Was klingt wie eine Szene aus einem Fernsehkrimi, ist wirklich passiert – und einer dieser Improvisationsmomente, die das Stück auszeichnen. Der „Tatort Neckartal“ verspricht spannend zu werden – wie spannend, das haben bei diesem Stück nicht nur die Schauspieler, sondern auch die Zuschauer in der Hand.


Tatort Neckartal
2., 4., 6., 8., 9.10.2016
Beginn: 19.30 Uhr / Dauer: ca. 2,5 h
Startpunkt: klub_k, Karlstorbahnhof Heidelberg, Am Karlstor 1, 69117 Heidelberg
Tickets: 15 Euro*

Karten erhalten Sie online unter www.karlstorbahnhof.de.

Die Premierenvorstellung am 2. Oktober ist bereits ausverkauft!

Bitte tragen Sie wetterfeste Kleidung und festes Schuhwerk; die Touren finden teilweise im Freien und zu Fuß statt (nicht barrierefrei). Die Abendkasse für die Touren öffnet eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn am jeweiligen Startpunkt.

Bitte finden Sie sich unbedingt pünktlich am Startpunkt ein, da andernfalls eine Teilnahme nicht garantiert werden kann.

Tatort Neckartal findet in Kooperation mit der S-Bahn RheinNeckar statt.


Miriam Bott

Journalismus – schwieriges Wort. Für mich bedeutet es, Themen zu finden, die die Menschen berühren. Anderen Geschichten mitzuteilen, die Menschen mir erzählt haben. Und einen Anstoß zu geben, über diese Geschichten nachzudenken, sich eine Meinung zu bilden, weiter zu forschen. Den Einstieg in den Journalismus fand ich über die Zeitung, mittlerweile arbeite ich für das Radio und bin fleißig bei Twitter als @mi_mib unterwegs. Hauptberuflich bin ich Studentin: In Mainz studiere ich den Master Mediendramaturgie.

Beitrag teilen auf: