Mein Nachbar, der Flüchtling

17.10.2016

Integration durch Kunstaktionen? Der Künstler Darren O‘Donnell hat Geflüchtete in Hemsbach über Monate begleitet und ihr Vertrauen gewonnen. Was man alles mit den Waffen der Kunst erreichen kann, haben sie gestern gemeinsam bei der Präsentation von „Hemsbach Protocol“ im Theater im Pfalzbau Ludwigshafen gezeigt.

Darren O'Donnell (Mitte) und Mitwirkende von "Hemsbach Protocol". © Andreas Neumann

© Andreas Neumann

„Wie war es bei dir zuhause?“, „Wie viel Platz hast du jetzt?“, „Was ist für dich am wichtigsten?“ oder „Welche Probleme kannst du nicht alleine lösen?“ Es sind banale Fragen, die den Geflüchteten an diesem Abend gestellt werden. Zehn von ihnen sitzen in den ersten beiden Reihen im Publikum und werfen sich immer wieder belustigte Blicke zu. „Sie sind alle hierhergekommen, um ein neues Leben zu beginnen“, eröffnet Moderator und Vertrauensperson Darren O’Donnell diese etwas andere Theatervorführung. Immer abwechselnd stellen sich die Geflüchteten im Video vor: „Ich komme aus dem Iran, Irak, Gambia, Kosovo. Zuhause war ich Maurer, Friseur, Kranführer, Handwerker.“ Und dann sprechen sie zum ersten Mal selbst: „Hi, ich bin Fitim, und ich komme aus dem Kosovo.“ Der gebürtige Roma beginnt alle Länder aufzuzählen, die er auf seiner Flucht durchquert hat, und die anderen tun es ihm gleich. Sie sprechen über ihre Heimat, über Hemsbach –  den Ort, an dem sie alle zurzeit untergebracht sind, – über Arbeit, Freundschaft und die Liebe.

Darren O'Donnell und Jana Eiting führen durch den Abend. © Andreas Neumann

Auch der Kanadier Darren O’Donnell und seine Regie-Kollegin Jana Eiting reden über ihre persönlichen Erfahrungen zu diesen Themen, führen auf Englisch und Deutsch durch die Aufführung, die eigentlich eine Übersicht des Projekts „Hemsbach Protocol“ ist. Denn der Kanadier hat sich das Vertrauen der Geflüchteten über Monate mühsam erarbeitet. Dafür ist er zunächst für drei Wochen in eine Flüchtlingsunterkunft gezogen, hat danach seinen Lebensmittelpunkt nach Hemsbach verlagert und mit Kunstaktionen Farbe in den tristen Alltag der Geflüchteten gebracht: „Ich habe mich sehr unwohl gefühlt, mit bemaltem Gesicht auf der Straße zu laufen, das macht man in meinem Land nicht“, erinnert sich einer der Gambier. Am Ende der Vorführung wird er gemeinsam mit Besuchern aus dem Publikum auf einem riesigen Teppich Tee trinken und sich über die Liebe zwischen Mann und Frau im afrikanischen Gambia und im deutschen Hemsbach unterhalten.

Auch viele Hemsbacher sind an diesem Abend in den Pfalzbau gekommen – den Kunstaktionen von O’Donnell sei Dank. Mit ihnen hat der Künstler in wenigen Monaten bewirkt, was in vielen anderen deutschen Städten nur schleppend gelingt: Integration. Der sanftmütige Kanadier hat die Neulinge mit viel Engagement und zahlreichen Abendessen dazu gebracht, aus der anonymen Masse der Flüchtlinge herauszutreten, selbst einmal zu erklären, was genau ihnen fehlt. Plötzlich wird aus dem Geflüchteten aus Gambia eine Persönlichkeit, ein ganz normaler Nachbar sozusagen, der sich nach Kontakt zu Einheimischen sehnt, Freunde finden möchte und vor allem einen echten Job braucht. „Wenn du einen Job haben willst, brauchst du Freunde, die dich empfehlen. Aber hier ist es sehr schwer, deutsche Freunde zu finden“, lautet am Ende das Urteil eines Neuankömmlings. „Wie viele sind mit einem Flüchtling befreundet?“, fragt da O’Donnell unverblümt ins Publikum. „Und wer hat schon einmal einen Flüchtling zum Essen eingeladen?“ Nur wenige Hände strecken sich verzagt nach oben, und am Ende bleibt nur eine Frage offen: warum eigentlich nicht?


Hemsbach Protocol
16.10.2016
Offene Welt, Theater im Pfalzbau Ludwigshafen
17.00 Uhr

Hemsbach Protocol ist ein Projekt von Matchbox und Mammalian Diving Reflex in Zusammenarbeit mit der Stadt Hemsbach, dem Rhein-Neckar-Kreis sowie dem BürgerschaftlichenIntergrationsProjekt BIP.

Performer
Igor Avramovski, Nuha Bojang, Ebrima Colley, Jana Eiting, Sutay Nije,
Darren O’Donnell, Fitim Pajazitaj, Nwachukwu Samuel, Sarjo Sanneh,
Arman Sharif, Ibrahim Sulaiman, Onwe Sunday, Papa Yankis

Regie                                                     Jana Eiting und Darren O’Donnell
Bühne und Licht                                    Konstantin Bock und Marina Stefan
Video                                                     Jana Eiting und Hanna Green
Untertitel und Übersetzung                  Lea Gerschwitz, Hanna Green, Jenna Winter
Dramaturgie und Produktion                Lea Gerschwitz
Mitarbeit Produktion                             Marie-Luise Hohenadel
Produktion Mammalian Diving Reflex   Jenna Winter und Eva Verity


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