Irgendwann sind alle verdächtig

04.10.2016
Erstellt von Miriam Bott

Zwei ungleiche Kommissare und viel Situationskomik bietet der „Tatort Neckartal“, der am Sonntag Premiere hatte. Ermittelt wird dabei nicht auf der Mattscheibe, sondern in Städten und Nahverkehrszügen der Rhein-Neckar Region.


Die Kommissare Heinrich Prinz (links) und Manuel Engel planen eine Krimi-Tour mit den Zuschauern. © Andreas Neumann

Die „Tatort“-Titelmelodie erklingt, allerdings in einer bearbeiteten Version. Auf einer Leinwand im klub_k des Veranstaltungshauses Karlstorbahnhof in Heidelberg sieht man die Kommissare Heinrich Prinz (gespielt von Oliver Jaksch) und Manuel Engel (Florian Mania) zusammen S-Bahn fahren. Als die Computer-Ansage „Nächster Halt: Heidelberg, Altstadt“ verkündet, wird den ersten Zuschauern klar, worauf es hinausläuft. Hälse recken sich, und dann spaziert das ungleiche Paar durch die Tür. Wie auch an anderen Stellen im Stück ist das Zusammenspiel von Video und Livetheater nahezu perfekt aufeinander abgestimmt.

Die beiden Hauptfiguren könnten kaum gegensätzlicher sein: Engel, aus Mannheim, jung und modern, ist stets einfallsreich und manchmal auch etwas überdreht. Prinz, aus Heidelberg, ist eher chaotisch, manchmal knurrig und nicht gerade technikaffin. Dafür strahlt er die Gelassenheit eines erfahrenen Kommissars aus – außer, wenn es um seinen kostbaren Feierabend geht. Wie der Vorspann erinnern auch die Frotzeleien zwischen den beiden Charakteren durchaus an manche „Tatort“-Fernsehkommissare.

Ein Kommissar zum Anfassen: Heinrich Prinz ermittelt in der S-Bahn. © Andreas Neumann

Mit einer „Leiche“ gleich zu Beginn wartet der „Tatort Neckartal“ aber nicht auf. Im Gegenteil, das Vorhaben klingt harmlos: Prinz und Engel sollen den Teilnehmern die Arbeit eines Kommissars bei einer historisch-kriminalistischen Führung näherbringen. Bald zieht die Gruppe los zum nahegelegenen S-Bahnhof. Gespannte und skeptische Blicke, es herrscht Aufregung wie bei einem Schulausflug. Prinz und Engel lenken ihre Schäfchen souverän in die Bahn. Auch den Rest des Abends halten die beiden Schauspieler die Gruppe gut beisammen. Damit die Zuschauer sie hören können, nehmen sie auf die örtlichen Gegebenheiten Rücksicht, nutzen beispielsweise den Hall unter einer Brücke oder unterhalten sich lautstark über eine Straße hinweg.

Unterwegs muss Engel plötzlich aussteigen, dienstlich. Kurz darauf meldet er sich telefonisch bei Prinz zurück: Ein Verbrechen sei im Gange. Auf einmal findet sich das Publikum in einer Ermittlung wieder. „Handys aus!“, befiehlt Prinz. „Dann fliegen wir quasi unter dem Radar.“ Als eine Zuschauerin ihm mit ihrer Handytaschenlampe leuchten will, weist er sie streng zurecht. Die Umstehenden kichern und verstecken ihre Mobiltelefone.

© Andreas Neumann

Aber wo bleibt eigentlich Engel? Der wollte doch längst wieder zurück sein. „Da wird man ja ganz nervös!“, sagt eine Zuschauerin – und sie hat Recht. Man kann die Aufregung von Prinz spüren, der sich hektisch umschaut und seinen Kollegen sucht. In einer skurrilen Szene braust Engel mit einer Gruppe Motorradfahrer heran. Rundherum schauen Anwohner aus ihren Fenstern und verfolgen das Geschehen; das Publikum ist sichtlich amüsiert.
Doch zurück zum Fall: Ein „griechisches Haus“ ist das Ziel. „Nur gut, dass wir die ganzen Praktikanten dabeihaben“, sagt Engel zu Prinz. Die Ermittler in spe müssen lachen. Noch. Denn bald stellt sich heraus: Der Täter muss jemand aus der Gruppe sein! Es wird mucksmäuschenstill. „Jetzt sind wir im Spiel“, sagt ein Mann und mustert seine Nachbarn eindringlich.

„Sie sind jetzt alle verdächtig!“, poltert Prinz und scheucht die Zuschauer weiter. Unterwegs fährt ein Streifenwagen vorbei. Einige Zuschauer bleiben stehen. Ob das Polizeiauto zur Inszenierung gehört? Bei den vielen Überraschungen weiß man ja nicht. Engel ruft dem Auto jedenfalls hinterher: „Ah, die Kollegen! Da brauchen Sie nicht mehr hin, da waren wir schon!“ Es ist diese Situationskomik, die das Publikum fast ununterbrochen zum Lachen bringt. 
Dafür werden die Schauspieler nach der rund zweieinhalbstündigen Tour mit lang anhaltendem Applaus belohnt. Es mag der großen Gruppe geschuldet sein, dass nicht immer alle die Gespräche zwischen den Kommissaren bis ins Detail verfolgen konnten. Doch um beim „Tatort Neckartal“ gedanklich wie buchstäblich Schritt zu halten, ist eben auch jeder einzelne Zuschauer gefordert.


Tatort Neckartal

4., 6., 8., 9.10.2016
Beginn: 19.30 Uhr / Dauer: ca. 2,5 h
Startpunkt: klub_k, Karlstorbahnhof Heidelberg, Am Karlstor 1, 69117 Heidelberg
Tickets: 15 Euro*

Karten erhalten Sie online unter www.karlstorbahnhof.de.

Bitte tragen Sie wetterfeste Kleidung und festes Schuhwerk; die Touren finden teilweise im Freien und zu Fuß statt (nicht barrierefrei). Die Abendkasse für die Touren öffnet eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn am jeweiligen Startpunkt.

Bitte finden Sie sich unbedingt pünktlich am Startpunkt ein, da andernfalls eine Teilnahme nicht garantiert werden kann.

Tatort Neckartal findet in Kooperation mit der S-Bahn RheinNeckar statt.


Miriam Bott

Journalismus – schwieriges Wort. Für mich bedeutet es, Themen zu finden, die die Menschen berühren. Anderen Geschichten mitzuteilen, die Menschen mir erzählt haben. Und einen Anstoß zu geben, über diese Geschichten nachzudenken, sich eine Meinung zu bilden, weiter zu forschen. Den Einstieg in den Journalismus fand ich über die Zeitung, mittlerweile arbeite ich für das Radio und bin fleißig bei Twitter als @mi_mib unterwegs. Hauptberuflich bin ich Studentin: In Mainz studiere ich den Master Mediendramaturgie.

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